Daisaku Ikeda 27.04.2023

Erklärung zum G7-Gipfel in Hiroshima, zur Ukraine-Krise und zum Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen Seikyo Shimbun, 27. April 2023

Die Krise in der Ukraine, die nicht nur verheerende Folgen für die Menschen in diesem Land, sondern auch schwerwiegende Auswirkungen auf globaler Ebene hat und sogar den Einsatz von Atomwaffen in Erwägung zieht, geht in ihr zweites Jahr. Vor diesem Hintergrund und angesichts der dringenden Forderungen nach einer Lösung des Problems wird der G7-Gipfel der führenden Industrienationen vom 19. bis 21. Mai in Hiroshima, Japan, stattfinden.

Die Abhaltung des G7-Gipfels in Hiroshima erinnert an die Entschlossenheit von Dr. Bernard Lown, Mitbegründer der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW). Im März 1989, als die Welt sich rasch auf das Ende des Kalten Krieges zubewegte, kam Dr. Lown nach Japan und besuchte Hiroshima. Als wir uns in Tokio trafen, beschrieb er, was ihn dazu brachte, sich für den Frieden zu engagieren, während er seine Arbeit als Kardiologe in den Vereinigten Staaten fortsetzte.

Dr. Lown sagte, dass er als Arzt von dem Wunsch beseelt war, Menschen vor einem tragischen Tod zu bewahren, und dass sich dieses Gefühl mit der Zeit zu der Entschlossenheit entwickelte, Atomwaffen abzuschaffen, die den Tod der gesamten Menschheit verursachen können. Diese zentrale Entschlossenheit teilte er mit seinem Kollegen, dem Spezialisten für Herz-Kreislauf-Forschung Dr. Yevgeny Chazov, als sie sich über die Kluft des Kalten Krieges hinweg zusammenschlossen, um die IPPNW zu gründen. Der Austausch, der den Anstoß zu dieser neuen Bewegung gab, fand im Dezember 1980 statt, mehr als fünf Jahre vor der gemeinsamen Erklärung, die im November 1985 von US-Präsident Ronald Reagan und dem sowjetischen Generalsekretär Michail Gorbatschow in Genf veröffentlicht wurde und in der bekanntlich erklärt wurde, dass „ein Atomkrieg nicht gewonnen werden kann und niemals geführt werden darf“.[1]

Im darauffolgenden Jahr, im Juni 1986, reisten Dr. Lown und Dr. Chazov nach Hiroshima, wo sie mit Opfern des Bombenangriffs von 1945 zusammentrafen, die wegen der anhaltenden Folgen im Krankenhaus lagen. Am nächsten Tag hielten sie gemeinsam einen Vortrag auf einem Symposium mit dem Titel „Lasst uns gemeinsam leben, nicht gemeinsam sterben: Was müssen wir jetzt tun, um einen Atomkrieg zu verhindern?“. Diese Worte drücken meiner Meinung nach die unmittelbaren Gefühle von Ärzten aus, die sich voll und ganz dem Schutz des Lebens anderer verschrieben haben. Sie stimmen auch mit der Entschlossenheit der Überlebenden der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki überein, dass die tragischen Auswirkungen von Atomwaffen von keinem Menschen auf diesem Planeten jemals wieder erlebt werden dürfen.

In den letzten Jahren, als die COVID-19-Pandemie wütete und die Nationen sich nach innen zu wenden schienen, basierte die internationale Zusammenarbeit im Bereich der öffentlichen Gesundheit auf einem Geist der Solidarität, der in den Worten zum Ausdruck kommt: Lasst uns gemeinsam leben, nicht gemeinsam sterben.

Ich fordere nachdrücklich dazu auf, sich auf dem G7-Gipfel in Hiroshima von diesem Geist leiten zu lassen, um einen Weg zur Lösung der Ukraine-Krise zu finden, die so viele Menschen in den Ruin getrieben hat, und um eine klare Vereinbarung über die Verhinderung des Einsatzes oder der Androhung des Einsatzes von Atomwaffen zu erzielen.

Die Kuba-Krise versetzte die Welt im Oktober 1962 dreizehn Tage lang in Angst und Schrecken. Die Krise in der Ukraine spitzt sich weiterhin zu, wie die Pläne Russlands zur Stationierung von Atomwaffen in Weißrussland, die Angriffe in der Nähe von Atomkraftwerken und die Unterbrechung der Stromzufuhr zu diesen zeigen. Rafael Mariano Grossi, Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Organisation, bezeichnete jeden Stromausfall in einem Kernkraftwerk als ein Würfelspiel und erklärte: „Wenn wir das immer wieder zulassen, wird uns eines Tages das Glück verlassen.“[2] Die Gefahr einer Katastrophe, die sich aus dem derzeitigen Weg ergibt, ist in der Tat nicht zu leugnen.

Im Februar dieses Jahres, am ersten Jahrestag der Krise, fand eine Dringlichkeitssondersitzung der UN-Generalversammlung statt. Dort wurde eine Resolution verabschiedet, in der die baldige Herstellung des Friedens in der Ukraine gefordert und die tiefe Besorgnis über die verheerenden Auswirkungen des Krieges auf zahlreiche globale Herausforderungen wie Ernährungs- und Energiesicherheit zum Ausdruck gebracht wurde. In einem der entscheidenden Absätze der Resolution wird die sofortige Einstellung der Angriffe auf die kritische Infrastruktur der Ukraine und jeglicher vorsätzlichen Angriffe auf zivile Objekte, einschließlich Wohnhäuser, Schulen und Krankenhäuser, gefordert“[3] Diese Forderung muss befolgt werden, um weiteres Leid der Zivilbevölkerung zu verhindern.

In einem ersten wichtigen Schritt müssen alle betroffenen Parteien zusammenkommen, um einen Raum für Beratungen über eine vollständige Einstellung der Feindseligkeiten zu schaffen. In diesem Zusammenhang möchte ich vorschlagen, dass bei den Verhandlungen, die durch die Zusammenarbeit der betroffenen Länder vorankommen, auch Vertreter:innen der Zivilgesellschaft als Beobachter:innen teilnehmen, wie z. B. Ärzt:innen und Pädagog:innen, die in Krankenhäuserin und Schulen arbeiten, um das Leben und die Zukunft der Menschen zu schützen und zu fördern.

Dr. Lown charakterisierte die Aktivitäten der IPPNW einmal wie folgt: Ärzt:innen haben eine Ausbildung und einen Hintergrund, die sie befähigen, der gefährlichen Tendenz zur Stereotypisierung unserer Mitmenschen zu widerstehen. Außerdem sind sie darauf trainiert, praktikable Lösungen für Probleme zu finden, die auf den ersten Blick unmöglich erscheinen mögen. Er rief die Menschheit dazu auf, über nationale Unterschiede hinweg zusammenzuarbeiten, um einen Weg zum Frieden zu finden, und bezeichnete dies als „ein Rezept für Hoffnung“.[4] Ich glaube, dass die von Dr. Lown beschriebenen Qualitäten, die bei den Ärzt:innen zu sehen sind und eine starke Rolle bei der Dynamik zur Beendigung des Kalten Krieges gespielt haben, genau diejenigen sind, die eingesetzt werden müssen, um einen Durchbruch in der aktuellen Krise zu erzielen.

Im März gaben die Staats- und Regierungschefs Russlands und Chinas nach ihrem Gipfeltreffen eine gemeinsame Erklärung ab, in der es u. a. heißt: „Beide Seiten rufen dazu auf, alles zu unterlassen, was zu Spannungen und zur Verlängerung der Kämpfe führt, um zu verhindern, dass sich die Krise verschlimmert oder gar außer Kontrolle gerät.“[5] Dies steht im Einklang mit der von der Sondersitzung der UN-Generalversammlung verabschiedeten Resolution.

Der G7-Gipfel in Hiroshima sollte ein „Rezept für Hoffnung“ liefern, indem er sich für eine sofortige Einstellung der Angriffe auf zivile Objekte einsetzt und konkrete Pläne für Verhandlungen entwickelt, die zu einer Einstellung der Feindseligkeiten führen.

Zusammen mit dem Einsatz für eine baldige Lösung der Ukraine-Krise fordere ich die G7-Staaten auf, sich auf dem Hiroshima-Gipfel zu verpflichten, die Führung in den Diskussionen über den Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen zu übernehmen. Die derzeitige Krise ist beispiellos, da die Androhung des Einsatzes von Atomwaffen und die Angst vor ihrem tatsächlichen Einsatz ununterbrochen anhält.

In den letzten Jahren wurde der INF-Vertrag (Mittelstrecken-Nuklearstreitkräfte-Vertrag) außer Kraft gesetzt und sowohl die USA als auch Russland sind aus dem Vertrag über den Offenen Himmel (Treaty on Open Skies) ausgetreten, der das Vertrauen zwischen den teilnehmenden Staaten stärken sollte. Angesichts der durch die Ukraine-Krise verschärften Spannungen kündigte Russland im Februar die Aussetzung seiner Teilnahme am Neuen START-Vertrag (Vertrag zur Verringerung strategischer Waffen) an, und die USA stellten den Austausch von Daten über die Nuklearstreitkräfte mit Russland ein. Sollte New START hinfällig werden, könnte dies zum vollständigen Verlust des Rahmens führen, der seit der Unterzeichnung des ABM-Vertrags (Raketenabwehrvertrag) und der Gespräche über die Begrenzung strategischer Waffen (SALT I) im Jahr 1972 für Transparenz und Vorhersehbarkeit der Atomwaffenarsenale beider Länder sorgen sollte.

Seit den Bombenangriffen auf Hiroshima und Nagasaki haben die Hibakusha dieser Städte in Abstimmung mit der gesamten Zivilgesellschaft auf den zutiefst unmenschlichen Charakter von Atomwaffen hingewiesen; Nicht-Atomwaffenstaaten haben sich kontinuierlich um Diplomatie bemüht, und die Staaten, die über Atomwaffen verfügen, haben sich in Selbstbeschränkung geübt. Infolgedessen hat es die Welt irgendwie geschafft, siebenundsiebzig Jahre lang keine Atomwaffen einzusetzen.

Wenn die internationale öffentliche Meinung und das Tabu gegen den Einsatz von Atomwaffen ihre Bremsfunktion nicht erfüllen, wird die Politik der nuklearen Abschreckung - die auf dem Gedanken beruht, dass die Atomwaffen anderer Länder gefährlich sind, die eigenen aber die Grundlage für Sicherheit darstellen - die Menschheit dazu zwingen, auf einem steilen Felsvorsprung zu stehen, von dem man nie weiß, wann er nachgeben wird.

Auf dieser Grundlage habe ich im Januar 2022, einen Monat vor dem Ausbruch der Ukraine-Krise, darauf gedrängt, dass anlässlich des G7-Gipfels in Japan im Jahr 2023 ein hochrangiges Treffen zur Verringerung der Rolle von Atomwaffen abgehalten wird, um Bedingungen zu schaffen, die der Einführung des Grundsatzes des umfassenden Nichtgebrauchs förderlich sind. Ich betonte, dass wir vor der Wahl stehen, entweder New START, die letzte verbleibende Maßnahme, die als Reaktion auf die Abrüstungsverpflichtungen des Atomwaffensperrvertrags (NVV) ergriffen wurde, auslaufen zu lassen - und damit den weiteren Ausbau der Atomwaffenarsenale und die Bedrohung durch deren Einsatz aufrechtzuerhalten - oder das historische Gewicht von mehr als siebenundsiebzig Jahren des Verzichts auf den Einsatz von Atomwaffen in einem gegenseitigen Versprechen der nuklear bewaffneten Staaten auf den Verzicht auf den Ersteinsatz zu kristallisieren und dies zum Kernpunkt der Bemühungen zu machen, das NVV-Regime auf eine neue und solidere Grundlage zu stellen.

Seit Beginn der Ukraine-Krise habe ich zwei öffentliche Erklärungen verfasst,[6] in denen ich mich auf die gemeinsame Erklärung der fünf Atomwaffenstaaten (USA, Russland, Großbritannien, Frankreich und China) vom Januar 2022 bezog, in der der Grundsatz bekräftigt wurde, dass „ein Atomkrieg nicht gewonnen werden kann und niemals geführt werden darf“, und in der gefordert wurde, dass diese Erklärung als Grundlage für die Verringerung des Risikos eines Atomwaffeneinsatzes dienen sollte.

Wichtig ist auch das gemeinsame Bewusstsein, das in der von der G20-Gruppe im November 2022 in Indonesien abgegebenen Erklärung zum Ausdruck kommt: „Der Einsatz oder die Androhung des Einsatzes von Atomwaffen ist unzulässig.“[7]

Zu den G20-Mitgliedsländern gehören die fünf Atomwaffenstaaten sowie das atomar bewaffnete Indien. Darüber hinaus gehören Deutschland, Italien, Kanada, Japan, Australien und Südkorea - deren Sicherheitspolitik allesamt von Atomwaffen abhängig ist - zu ihren Mitgliedern. Es ist von großer Bedeutung, dass diese Länder offiziell zum Ausdruck gebracht haben, dass der Einsatz oder die Androhung des Einsatzes von Atomwaffen „unzulässig“ ist - der Geist, der dem Vertrag über das Verbot von Nuklearwaffen (TPNW) zugrunde liegt, der 2021 in Kraft trat.

In der Erklärung der G20-Staats- und Regierungschefs wurde außerdem betont, dass „das heutige Zeitalter nicht das des Krieges sein darf.“[8] Es ist von entscheidender Bedeutung, dass diese beiden Botschaften von Hiroshima aus mit Nachdruck in die Welt getragen werden.

Da sich die Staats- und Regierungschefs der G7-Staaten mit den tatsächlichen Folgen einer Atomwaffendetonation und den bitteren Lehren aus dem Atomzeitalter auseinandersetzen, fordere ich sie auf, ernsthafte Überlegungen über die Verpflichtung zum Verzicht auf den Ersteinsatz anzustellen, damit ihre gemeinsame Einsicht in die Unzulässigkeit von Atomwaffen in einer veränderten Politik zum Ausdruck kommen kann.

Die Ursprünge des G7-Prozesses lassen sich bis zum Gipfel von Rambouillet zurückverfolgen, der 1975 in der Nähe von Paris mitten im Kalten Krieg stattfand und an dem die Staats- und Regierungschefs von sechs Ländern teilnahmen. Die Soka Gakkai International (SGI) wurde ebenfalls 1975 gegründet, und da ich mir die Erklärung des zweiten Präsidenten der Soka Gakkai, Josei Toda, zu Herzen nahm, in der er zur Abschaffung der Atomwaffen aufrief und die er achtzehn Jahre zuvor als letzte Anweisung an seine Nachfolger:innen herausgegeben hatte, besuchte ich im Laufe des Jahres alle fünf Atomwaffenstaaten, um mit prominenten Führer:innen und Denker:innen Dialoge über Wege zum globalen Frieden zu führen.

Im Anschluss an meine Reisen in diese Länder hielt ich am 9. November in Hiroshima eine Rede, in der ich die dringende Notwendigkeit betonte, dass die Atomwaffenstaaten Erklärungen über den Verzicht auf den Ersteinsatz abgeben und negative Sicherheitsgarantien aussprechen, d. h. Garantien, Atomwaffen niemals gegen Staaten einzusetzen, die nicht über sie verfügen. Solche Schritte, so drängte ich, hätten höchste Priorität, um die Abschaffung von Atomwaffen zu erreichen. Das bevorstehende Gipfeltreffen der sechs führenden Länder in Frankreich lag mir sehr am Herzen, als ich außerdem eine internationale Friedenskonferenz in Hiroshima als ersten Schritt zur Abschaffung von Atomwaffen forderte.

Ich begründete diesen Vorschlag mit meiner festen Überzeugung, dass solche hochrangigen Treffen, bei denen nur die Interessen der betroffenen Länder und ihre nationale Sicherheit im Vordergrund stehen, bedeutungslos sind, wenn sie nicht dazu genutzt werden, den Weg zur Abschaffung der Atomwaffen zu erörtern, auf dem das Schicksal der gesamten Menschheit ruht.

An dieser Überzeugung hat sich bis heute nichts geändert, und das sind die Erwartungen, die ich an den kommenden Hiroshima-Gipfel knüpfe.

Die Menschheit hat sich mehrfach an den Rand eines Atomkriegs begeben, am dramatischsten während der Kuba-Krise. Heute, da das Tabu gegen den Einsatz von Atomwaffen unter den Atomwaffenstaaten erodiert ist und die Rahmenbedingungen für die Verwaltung und Verringerung der Atomwaffenarsenale zu kollabieren drohen, war es noch nie so notwendig, eine Politik des „Kein Ersteinsatz“ zu erklären und zu etablieren.

Wie sieht die Sicherheit aus, die die große Mehrheit der Menschheit anstrebt?

In einem Bericht, der nur wenige Wochen vor dem Ausbruch der Ukraine-Krise veröffentlicht wurde, stellte das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) fest, dass sich die meisten Menschen auf der Welt unsicher fühlen. Der Hintergrund ist das Gefühl, dass die menschliche Sicherheit – „das Recht der Menschen auf ein Leben in Freiheit und Würde, frei von Armut und Verzweiflung“[9] - ausgehöhlt wurde, ein Gefühl, das bereits mehrere Jahre vor dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie von mehr als 85 Prozent der Befragten geteilt wurde.

Es ist unbestreitbar, dass sich dieses Gefühl der Unsicherheit durch die Auswirkungen der Ukraine-Krise noch verstärkt hat. In seinem Vorwort zum UNDP-Bericht äußerte sich UN-Generalsekretär António Guterres besorgt darüber, dass „die Menschheit die Welt zu einem immer unsichereren und prekäreren Ort macht.“[10] Meiner Ansicht nach ist der wichtigste Faktor in diesem Zusammenhang die Bedrohung durch Atomwaffen, die so untrennbar mit der Struktur unserer Welt verbunden ist.

Der Kontrast zu den Bemühungen um die Bekämpfung der globalen Erwärmung ist aufschlussreich. Trotz der drastischen Realität der Krise, wird anerkannt, dass es sich um eine vorrangige Aufgabe handelt, die die gesamte Menschheit betrifft, so dass jedes Jahr UN-Klimakonferenzen (Weltklimagipfel) stattfinden. Hier wird kontinuierlich ein daran gearbeitet einen globalen Konsens und Solidarität zur Verstärkung der Maßnahmen aufzubauen.

In der Nuklearfrage wird zwar immer wieder für Abrüstung plädiert, aber die Atomwaffenstaaten und die von ihnen abhängigen Staaten beteuern regelmäßig, dass die Bedingungen für Fortschritte aufgrund der schwierigen Sicherheitslage noch nicht reif seien.

Wenn eine Einigung über den Grundsatz des Verzichts auf den Ersteinsatz erzielt werden könnte, der bereits in den Entwürfen für die Abschlusserklärung der letztjährigen Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag enthalten war, würde dies die Grundlage schaffen, auf der die Staaten gemeinsam die schwierigen Sicherheitsbedingungen, mit denen sie konfrontiert sind, verändern könnten. Meiner Meinung nach ist es von entscheidender Bedeutung, den Wechsel zu einem Paradigma der „gemeinsamen Sicherheit“ im Geiste „Lasst uns zusammen leben, nicht zusammen sterben“ zu vollziehen, der auch die kooperativen Bemühungen der Regierungen im Kampf gegen den Klimawandel und die Pandemie untermauert hat.

Das Bekenntnis zu einer Politik des „Kein Ersteinsatz“ ist in der Tat ein „Rezept für Hoffnung“. Es kann als Achse dienen, die die beiden Räder des NVV und des TPNW verbindet und die Verwirklichung einer atomwaffenfreien Welt beschleunigt.

Die SGI hat ihrerseits die Zusammenarbeit mit den Hibakusha der Welt, der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) - die aus dem Dachverband der IPPNW hervorging - und anderen Organisationen fortgesetzt, um zunächst die Verabschiedung und jetzt die weltweite Verbreitung der TPNW zu erreichen. Als Mitglieder der Zivilgesellschaft setzen wir uns für die rasche Verabschiedung der Politik des Verzichts auf den Ersteinsatz von Atomwaffen ein, um eine Dynamik zu schaffen, die dieses Zeitalter verändert.

In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an Dr. Lowns Einschätzung der Bedeutung des Jahres 1989. Es war das Jahr, in dem die Berliner Mauer fiel und die amerikanischen und sowjetischen Führer das Ende des Kalten Krieges erklärten. Als sich in diesem Jahr mehr als 3.000 Ärzt:innen aus Ost und West zum IPPNW-Weltkongress in Hiroshima versammelten, stand dieser unter dem Motto „Keine weiteren Hiroshimas: Eine ewige Verpflichtung“. Es war ein Jahr, das gefeiert werden sollte, weil es die Kraft der einfachen Menschen bewies, die auf den ersten Blick unwirksam erscheinen mag, die aber den Lauf der Geschichte verändern kann und dies auch tat.

Man sagt, je dunkler die Nacht, desto näher die Morgendämmerung, und das Ende des Kalten Krieges hat gezeigt, wie viel Energie freigesetzt wird, wenn Menschen, die sich nicht besiegen lassen wollen, sich solidarisch zusammenschließen.

Heute, in einem politischen Klima, das manche sogar als „neuen Kalten Krieg“ bezeichnen, ist es mein sehnlichster Wunsch, dass auf dem G7-Gipfel in Hiroshima konstruktive Diskussionen geführt werden, die ein Rezept für Hoffnung darstellen. Ich möchte auch erklären: Jetzt ist es an der Zeit! Lassen Sie uns noch einmal den Lauf der Geschichte durch die Kraft der Menschen ändern und den Weg zu einer Welt ohne Atomwaffen, einer Welt ohne Krieg, ebnen.


aus: Seikyo Shimbun, 27. April 2023


[1] Ronald Reagan Presidential Library and Museum, “Joint Soviet-United States Statement on the Summit Meeting in Geneva,” accessed April 27, 2023, https://www.reaganlibrary.gov/archives/speech/joint-soviet-united-states-statement-summit-meeting-geneva

[2] International Atomic Energy Agency, “Director General Statement to the Board of Governors - 9 March 2023,” accessed April 27, 2023, https://www.iaea.org/newscenter/pressreleases/director-general-statement-to-the-board-of-governors-9-march-2023

[3] United Nations, “Principles of the Charter of the United Nations Underlying a Comprehensive, Just and Lasting Peace in Ukraine,” accessed April 27, 2023, https://undocs.org/A/ES-11/L.7

[4] “International Physicians for the Prevention of Nuclear War: Nobel Lecture,” The Nobel Prize, accessed April 27, 2023, https://www.nobelprize.org/prizes/peace/1985/physicians/lecture

[5] Ministry of Foreign Affairs of the People’s Republic of China, “President Xi Jinping and Russian President Vladimir Putin Sign Joint Statement of the People’s Republic of China and the Russian Federation on Deepening the Comprehensive Strategic Partnership of Coordination for the New Era and Stress Settling the Ukraine Crisis Through Dialogue,” accessed April 27, 2023, https://www.fmprc.gov.cn/eng/zxxx_662805/202303/t20230322_11046088.html

[6] Daisaku Ikeda, “Statement to 2022 NPT Review Conference Calling for No First Use of Nuclear Weapons,” July 26, 2022, accessed April 27, 2023, https://www.daisakuikeda.org/sub/resources/works/lect/npt-statement-20220726.html; Daisaku Ikeda, Erklärung zur Krise in der Ukraine und zum Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen, January 11, 2023, accessed April 27, 2023, https://www.sgi-d.org/20230111-stmt-ukraine-krise-und-nfu

[7] G20, “G20 Bali Leaders’ Declaration, Bali, Indonesia, 15-16 November 2022,” accessed April 27, 2023, https://www.g20.org/content/dam/gtwenty/gtwenty_new/about_g20/previous-summit-documents/2022-bali/G20%20Bali%20Leaders%27%20Declaration,%2015-16%20November%202022.pdf

[8] ebd.

[9] United Nations, “Resolution Adopted by the General Assembly on 10 September 2012,” accessed April 27, 2023, https://www.un.org/humansecurity/wp-content/uploads/2022/06/N1147622.pdf

[10]  António Guterres, “New Threats to Human Security in the Anthropocene,” UNDP, iii, accessed April 27, 2023, https://hdr.undp.org/system/files/documents/srhs2022pdf.pdf