Daisaku Ikeda

Gleiche Rechte für Frauen: Unterschiedlichkeit aktiv nutzen

Die Wertschätzung, die man gegenüber Frauen, ihrer Weisheit und ihren Fähigkeiten aufbringt, entscheidet über die Entwicklung einer jeden Organisation und Gesellschaft. In Organisationen, in denen Frauen vollwertige, aktive Mitglieder sind, öffnet sich ein reiches Spektrum an Meinungen und Herangehensweisen. Das zeigt sich besonders in der Geschäftswelt. Trends zeigen: Unternehmen, die Unterschiede aktiv nutzen, sind kreativer, anpassungsfähiger und wirtschaftlich erfolgreicher.

Die Unterschiedlichkeit der Menschen positiv aufzugreifen, schützt nicht nur die Rechte jedes Einzelnen; es setzt auch neue kreative Kräfte frei, wenn die Intelligenz und die Sichtweisen vieler Menschen zusammengeführt werden. Dadurch kann sich die Gesellschaft als Ganzes harmonisch weiterentwickeln. Genau deshalb sollten Frauen mehr Einfluss bekommen.

Frauen zeichnen sich dadurch aus, dass sie komplizierte Probleme geduldig, zielstrebig und flexibel angehen. Die Wirtschaftswissenschaftlerin und Aktivistin Dr. Hazel Henderson verfügte über genau diese Eigenschaften und überwand vielfältige Probleme beim Aufbau ihrer Umweltschutzbewegung.

Nach ihren eigenen Worten war Henderson „eine gewöhnliche Hausfrau“, als ein scheinbar kleiner Vorfall ihr Leben veränderte. In den 1960er Jahren lebte sie mit ihrer Familie in New York City. Eines Tages kam ihre kleine Tochter mit Schmiere auf der Haut nach Hause, die durch kein Waschen und Rubbeln entfernt werden konnte. Dadurch wurde ihr plötzlich klar, dass die Luft in ihrer Umgebung extrem verschmutzt war.

Ihr Kind sollte saubere Luft atmen, und getrieben von diesem Wunsch begann sie mit anderen Hausfrauen in der Nachbarschaft zu sprechen. Meist fing sie mit der einfachen Frage an: „Finden Sie nicht auch, dass die Luft hier sehr schlecht ist?“ Ihre Eins-zu-eins-Gespräche wurden zu Freundschaften, es wuchs Vertrauen und ein immer größerer Kreis von Unterstützern.

Sie schrieb während des Mittagsschlafs ihrer Tochter Briefe an den Bürgermeister und andere Vertreter der Stadt. Erst nach einiger Zeit bekam sie eine Antwort vom Bürgermeister, der sich dahingehend äußerte, die vermeintliche Luftverschmutzung sei wohl nur „Nebel, der vom Meer aufzieht“. Unverdrossen forschte sie weiter nach und stellte fest, dass die Stadt täglich Messungen über Rußpartikel in der Luft vornahm. Sie wandte sich an Fernsehstationen und andere Medien. Auf ihr Drängen hin wurde der New Yorker Luftverschmutzungsindex in die Wetternachrichten aufgenommen.

Henderson stellte die Theorien des Wirtschaftswachstums in Frage, die die Zerstörung der natürlichen Umwelt rechtfertigen – sie gab den Anstoß, diese Modelle anzuzweifeln und zu verändern. Aber Politiker und sogenannte Experten weigerten sich, sie ernst zu nehmen.

Immer wieder bedrängte sie große Unternehmen und die Regierung mit diesen und ähnlichen Themen, weshalb sie irgendwann als „eine der gefährlichsten Frauen Amerikas“ verspottet wurde. Sogar der Arbeitgeber ihres Mannes erhielt gegen sie gerichtete Schmähbriefe. Sie wurde erniedrigt und verhöhnt nach dem Motto: Was kann eine Hausfrau, die keinen Universitäts-Abschluss hat, schon über Wirtschaft wissen?

Diese Kritik spornte sie jedoch an und sie bemühte sich immer weiter, alles über ökonomische und ökologische Theorien zu lernen.

Schon bald war sie Streitgesprächen mit weltberühmten Wissenschaftlern gewachsen und konnte die Dinge deutlich beim Namen nennen. Ihr Mut und ihre Überzeugung brachten auch andere Frauen dazu, sich Gehör zu verschaffen.

Sie gründete mit ihren Nachbarn Citizens for Clean Air (Bürger für reine Luft), eine der ersten Umweltinitiativen. Wichtige Gesetze wurden seitdem verabschiedet. Das Denken der Menschen, das Handeln der Unternehmen und der Regierung wurden dauerhaft verändert!

Henderson konzentriert sich stets auf die konkrete Wirklichkeit der Menschen, auf ihre Gesundheit, ihre Sicherheit und ihr Glück statt auf bloße Verallgemeinerungen. Genau deshalb wird sie nie von ihrem Ziel abgelenkt oder aus dem Gleichgewicht gebracht. Ausdauernd wie der stetige, unerschöpfliche Strom eines Flusses verfolgt sie ihre Ziele immer bis zum Ende. Sie erinnert sich: „Weil wir wussten, was für eine enorme Aufgabe es ist, unsere Kinder aufzuziehen, wollten wir unbedingt die bestmögliche Zukunft für sie.“

Gerade weil sie einen so lebensnahen Ansatz verfolgt, hat Henderson bei ihren Aktivitäten große Unterstützung von Menschen erfahren, die sich um die Zukunft sorgen. Eine schrittweise Veränderung, die mitten im täglichen Leben wurzelt und von dem grundlegenden Wunsch ausgeht, Leben zu schützen, steht im scharfen Kontrast zu den brutalen Umbrüchen einer Revolution, durch die Männer häufig versuchen, Änderungen herbeizuführen.

Im Lauf der Geschichte haben Männer den Ansichten und Anstrengungen der Frauen stets zu wenig Beachtung geschenkt. Wir alle zahlen den Preis für diese Arroganz, denn wir leben in einer Welt ständiger Konflikte und in einer Gesellschaft, in der das Leben – bestenfalls – eine große Herausforderung darstellt.

Henderson sagt dazu mit einem großherzigen Lachen: „Heute sind die Frauen zuständig für die Probleme, die die Männer angerichtet haben – genauso wie zu Hause für das dreckige Geschirr!“

Die Weisheit und Kraft der Frauen sollte sich voll und ganz in der Gesellschaft widerspiegeln: ihre fürsorgliche Aufmerksamkeit für die Wirklichkeit, ihre Sorge für die Menschen nebenan, ihre Fähigkeit, das Leben selbst wertzuschätzen. Nur so werden wir einen echten Fortschritt bei der Lösung der weltweiten Probleme erreichen und Frieden schaffen können. Es ist dafür jedoch notwendig, dass eine Revolution in den Köpfen der Männer stattfindet.

Dabei gehen mir die Worte von Eleanor Roosevelt durch den Kopf, die eine Schlüsselrolle bei dem Vertragsentwurf für die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ spielte. In den schwierigen 30er Jahren erklärte sie: „Wenn zehn Millionen Frauen wirklich Sicherheit wollen und echte Mitbestimmung, wenn sie Ehrlichkeit, weise und gerechte Gesetzgebung, glücklichere und bessere Lebensumstände und eine Zukunft ohne den Horror des Krieges wollen, dann müssen diese zehn Millionen Frauen sich in Bewegung setzen.“

Dr. Henderson erzählte mir von ihrer Hoffnung, das 21. Jahrhundert werde ein Jahrhundert der Partnerschaft zwischen Männern und Frauen sein. Ich stimme ihr vollkommen zu. Frauen und Männer sollten auf der Basis gegenseitigen Respekts zusammenarbeiten und einen neuen Weg für zukünftige Generationen bereiten. Gemeinsam können wir ein Zeitalter erschaffen, in dem alle Menschen für ihre Menschlichkeit und ihre einzigartige, unersetzliche Lebensweise gewürdigt werden: In so einem Zeitalter werden wir alle den Reichtum der menschlichen Vielfalt genießen können.