Ursache und Wirkung

Ursache und Wirkung

Unsere individuelle Persönlichkeit, unser Charakter und besonders auch die Umstände, in die wir geboren werden, bestimmen unser Leben und sind entscheidend für unser Glück oder Unglück. So wird es allgemein angenommen – doch ist das wirklich so?

In der buddhistischen Weltsicht sind alle Gedanken, jedes Wort und jede körperliche Handlung Ursachen, die Wirkungen hervorrufen. Und so haben wir nicht nur durch Ursachen in der Vergangenheit unser jetziges Schicksal selbst geschaffen, sondern können auch durch Ursachen, die wir jetzt setzen, unsere Zukunft frei gestalten. Im buddhistischen Menschenbild und der Lehre als Ganzes ist das Konzept von Ursache und Wirkung von zentraler Bedeutung.

Im alten Indien glaubte man, dass die Umstände der Wiedergeburt durch die guten und bösen Taten eines Menschen bestimmt werden würden – also durch das Karma (Sanskrit für „Tat“ oder „Handlung“). Nach diesem Verständnis von Ursache und Wirkung gibt es für jede gute Ursache eine Art „Belohnung“ und für jede schlechte Ursache eine Vergeltung. Dies wird im Buddhismus von Nichiren Daishonin als „allgemeine Kausalität“ bezeichnet. Nichiren Daishonin beschrieb sie in einem Brief folgenderweise: „Wer einen hohen Berg erklimmt, muss schließlich wieder hinabsteigen. Wer andere herabsetzt, wird am Ende selbst verachtet. (…)“ (SND-1, 380)

Wenn man aber für jede böse Tat aus der Vergangenheit erst eine Wirkung erfahren müsste, bräuchte man unendlich viel Zeit, gar mehrere Leben, um in den „Plus-Bereich“ eines glücklichen Lebens zu gelangen. Solange wir in dieser Sichtweise gefangen sind, werden wir stets von einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit und der Machtlosigkeit gequält.

Dies könnte ein Grund für das Erscheinen des Buddhismus in Indien gewesen sein. Und auch Nichiren Daishonin, der im 13. Jahrhundert in Japan lebte, war zutiefst davon überzeugt, dass jeder Mensch noch in dieser Existenz ein glückliches Leben führen kann. Aus dem Lotos-Sutra, in dem die Buddhaschaft aller Menschen festgestellt wird, kristallisierte er eine Lehre und Ausübung heraus, mit der wir das „festgelegte Karma“ oder Schicksal durchbrechen und unser Leben strahlend und positiv gestalten können. Nichiren legte dar, dass die grundlegende Ursache für unser Leiden nicht in einzelnen vergangenen Handlungen im Sinne der allgemeinen Kausalität bestehe, sondern darin, nicht an die Existenz der Buddhanatur in uns selbst und in anderen zu glauben. Aus dieser tieferen Ursache oder inneren Haltung entsteht alles Handeln, alle Lebenstendenzen, die uns leiden lassen. Den Unglauben zu beseitigen und die Welt der Buddhaschaft hervorzubringen, stellt eine tiefergehende Kausalität dar. Diese sogenannte „größere Kausalität“, ermöglicht es uns, unser Karma in diesem Leben zu verändern.

Wenn wir Nam-Myoho-Renge-Kyo vor dem Gohonzon rezitieren, machen wir den Zustand der Buddhaschaft sichtbar und reinigen unser negatives Karma. Bildlich gesprochen ist das Erscheinen der Welt der Buddhaschaft wie der Sonnenaufgang. Wenn die Sonne im Osten aufgeht, verblassen die Sterne bis zur Bedeutungslosigkeit, obwohl sie am Nachthimmel noch so lebhaft gefunkelt haben. Die Sterne symbolisieren hier die von uns gesetzten Ursachen aus der Vergangenheit – sie verschwinden nicht, aber wenn die Sonne der Buddhaschaft aufgeht, hören wir auf, unter ihren negativen Wirkungen zu leiden.

Und mehr noch, wir können unsere Schwierigkeiten und Leiden sogar verwandeln und zu einer Quelle der Ermutigung für uns selbst und für andere machen. Der Buddhismus ermöglicht uns eine Sichtweise, bei der wir uns als Schauspieler betrachten, die die Rolle einer Heldin oder eines Helden übernommen haben. In dieser Rolle erleben wir Leiden, um sie mit Hilfe der buddhistischen Ausübung zu überwinden. Gerade weil wir selbst aber nicht perfekt sind, sondern wie jeder andere Mensch auch mit Nöten und Problemen konfrontiert sind, können wir durch unsere Entwicklung andere Menschen zu ermutigen, es uns gleichzutun. So wird unser „schlechtes“ Karma zu einem Sprungbrett und zu unserer Lebensaufgabe. 

Daisaku Ikeda erläutert, dass das Prinzip der „größeren Kausalität“ die Menschen vom Karma bzw. Schicksal befreit. Er schreibt: „Der Buddhismus erklärt das Karma, um zu zeigen, wie man es umgestalten kann. Außerdem beschränken wir den Blick nicht auf unser persönliches Karma. Wenn wir erst einmal die Ketten unseres eigenen Karma abgeschüttelt haben, machen wir uns an die Befreiung der anderen, die ebenfalls an ihrem Karma leiden. Und letztendlich wenden wir uns der Aufgabe zu, das Karma der ganzen Menschheit zu verändern. Das ist der Weg zur Verwirklichung der Buddhaschaft für sich und andere.“ (WDS 2, 41)


aus: Impulse für die tägliche Ausübung. Buddhismus heute



Zum Weiterlesen und Vertiefen:

Die Schriften Nichiren Daishonins, Bd. 1, S. 380

Die Welt der Schriften Nichiren Daishonins, Bd. 2, S. 41 f. und S. 48 – 52

Die Weisheit zur Erschaffung von Glück und Frieden, Teil 2.2,, „Ursachen und Wirkungen der Gegenwart betrachten“, S. 164 – 166, „Jeder Tag ist die Zeit ohne Anfang“, S. 172 – 175